Jährlich veranstaltet das Netzwerk für wortstarke Frauen Texttreff ein Blogwichteln. Dabei kann jede mitmachen und wird einem fremden Blog zugelost. Schwierig kann es werden, wenn man „artfremd“ schreiben muss. Für mich ist es das erste Mal und mein zugeloster Wichtel ist die Kinderbuchautorin Sandra Schindler. Unser gemeinsamer Nenner ist die Natur:
Aber auf eine ganz andere Art, als ihr vielleicht denkt …
„Ich kann das Zeug nicht hier liegen lassen!“, sagte der Freund, mit dem ich im Wald unterwegs war. Eine komische Einstellung, fand ich. Warum durch die Gegend laufen und den Müll anderer entsorgen? Reichte es nicht, wenn man darauf achtete, selbst keinen Müll in der Natur zu hinterlassen?Nur wenige Wochen später lief ich mit einer Freundin durch den gleichen Wald – und das Phänomen wiederholte sich. Auf einmal dachte ich: Hallo!? Bin ich etwa die Einzige, die noch nicht damit angefangen hat, den Dreck anderer wegzumachen?
Und vielleicht weil jeder Mensch diesen seltsamen Hang nach Zugehörigkeit hat, verschrieb ich mich kurz darauf selbst der Müllsammelei. Nicht bei jedem Spaziergang, denn irgendwann muss man auch mal abschalten bzw. Unschönes ausblenden dürfen. Aber alle paar Wochen hebe ich das auf, was Autofahrer aus ihrem Fenster entsorgt haben. Was ich da schon alles gefunden habe: Kochtöpfe, Küchenwaagen, Schuhe – das wahre Paradies für jeden Upcycler.
Müll im Urlaub? Seh ich nicht, hör ich nicht, kehr ich unter den Tisch …
Neulich im Winterurlaub lief ich mit der gleichen Freundin am Strand entlang, eigentlich zum Spazieren, dachte ich zumindest. Doch sie hatte einen riesigen Müllsack im Schlepptau und erklärte achselzuckend: „Also wenn ich schon spazieren gehe, kann ich das doch nebenbei machen!“ Hm. Ich war im Urlaub, wollte vom Müll weder was sehen noch was hören – lieber schön ausblenden, dass an diesem wunderbaren Sandstrand schon lange nicht mehr alles in Ordnung war.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mir kommt meine Waldsammelei manchmal so sinnlos vor: Kaum habe ich alles eingesammelt und denke mir: Wow, so schön sauber, da wird hoffentlich niemand auf die Idee kommen, wieder was hinzuschmeißen – schon geht es wieder weiter.
„Ich verstehe, was du meinst“, sagte meine Freundin, „aber ich denke mir: Alles, was ich sammle, kann schon nicht mehr im Meer landen und den Tieren dort zum Verhängnis werden!“ So wie „mein“ Waldmüll weder den Waldtieren schaden noch das Grundwasser verschmutzen kann. Logisch. „Außerdem“, fuhr sie fort, „außerdem ist das Ganze ansteckend. Die Leute sehen das – und das bringt sie zum Nachdenken, wenn nicht gar zum Handeln.“ Lisa ist genauso eine schreckliche Optimistin wie ich. Wahrscheinlich verstehen wir uns deshalb so gut.
Krankheit Müllsammeln: Hochgradig ansteckend
Ein paar Tage später war ich ohne sie am Strand unterwegs. Trotzdem schaffte ich es nicht, den Müll auszublenden, sondern füllte fünf Hundetüten mit meinen gesammelten Werken. Meine improvisierten Behältnisse reichten nicht, denn die mit Seetang und -gras gespickten Fischernetze, die ich fand, waren viel zu groß. Mit gemischten Gefühlen betrachtete ich den ausgeblichenen, noch halb mit Luft gefüllten Herzballon, den ich ebenfalls den Strand entlang schleppte. Mir war nicht bewusst, wie schwer vom Wasser vollgesogener Müll werden kann. Besonders dann, wenn die Abfallbehälter unendlich weit weg zu sein scheinen – von Luftballons natürlich abgesehen, aber die sind gemeinsam mit all dem anderen Kram auch nicht leicht zu tragen.
Meine diesmalige Begleitperson betrachtete mich kopfschüttelnd. „Das ist doch nicht deine Aufgabe!“ „So, wessen Aufgabe ist es dann?“ „Na, die der Verwaltung oder der Politik. Wenn du jetzt allen Müll aufsammelst und die kommen zur Kontrolle hier vorbei, dann denken die doch: Hier ist alles in Ordnung!“ Aha. Ach so. Interessant, wie mir durch diese Person meine unbewusste Einstellung von früher gespiegelt wurde.
Einen Tag später war ich noch mal mit der gleichen Person unterwegs. Sie hob den Müll schon auf, noch bevor ich eine Tüte aus meiner Jackentasche gefischt hatte. Dankbar grinste ich in mich hinein.
„Sammelt ihr Müll?“, fragte eine Frau, die mit ihrem Hund am Rand der Dünen saß und auf das vom Wind gepeitschte Meer hinaussah. Ich nickte. „Danke schön!“, rief sie mir nach.
Den Müll anderer beseitigen? Warum eigentlich?
An dieses Dankeschön aus tiefstem Herzen dachte ich, als ich gerade wieder mit meinem Müllsack durch den Pfälzerwald stiefelte. Auf den paar Metern, die ich an der Straße entlanggehen muss, begegneten mir an die dreißig Menschen – zahlreiche Autofahrer, aber auch eine ganze Wandergruppe. Und sie alle sahen, was ich da tat. Ich mach das nicht, weil ich die Dankbarkeit anderer Menschen erwarte. Sondern ich mache das, weil ich an das Gute glaube – und gesehen habe, wie ansteckend es ist, Gutes zu tun.
Vor allem kann ich es ganz besonders deshalb nicht lassen, weil die Natur mein Zuhause ist. Der Wald ist mein großes, grünes Wohnzimmer, das Meer mein persönliches Kneippbecken. Die Wiesen und Felder sind meine Raststätte, an der ich ausruhen, träumen und auftanken kann, wenn ich zu lange und zu weit gelaufen bin. Die Natur ist meine Zuflucht, meine Freundin, meine Beschützerin, ja, sogar meine Ernährerin. Ohne sie wäre ich nicht da. Und deshalb ist es sehr wohl meine Aufgabe, mich um sie zu kümmern, so gut ich es kann. Weil ich es mir wert bin.
Mein Appell an die Politik bzw. die Schulen
Übrigens sind wir früher mit der Schule Müll sammeln gegangen. Ich habe kaum Erinnerungen an die Schulzeit, aber die Erinnerung an die Sammelaktion entlang der Straßen, die ist noch sehr präsent, denn es war so ein gutes Gefühl, der Umwelt zu helfen – und dabei gleichzeitig den Eindruck zu haben, sich selbst zu helfen. Sollte ich mal irgendwann richtig viel zu sagen haben, werde ich das der Politik ans Herz legen: Ein oder zwei Mal im Jahr einen staatlich festgelegten Müllsammeltag einzulegen – Pflicht für alle Schulen in allen Bundesländern.
Dann fehlen aber doch diese Tage fürs Lernen, mag mancher argumentieren. Nein, sage ich, denn das gemeinschaftliche Müllsammeln ist eine Lektion fürs Leben. Weil es um so viel mehr geht. Wer das bereits in der frühen Kindheit gelernt hat, der weiß, wovon ich spreche. Und wer die Lektion verpasst hat? Der kann sie nachholen. Auch als Erwachsener. Jederzeit. 😉
Sandra Schindler schreibt herzorientierte, spirituelle Kinder- und Jugendbücher. Bisher erschienen: „Der kleine Milchvampir“ und „Flim Pinguin im Kindergarten“. 2018 hat sie außerdem einen Podcast- und einen YouTube-Kanal gestartet, in dem sie sporadisch über schreibrelevante, aber auch spirituelle, gesellschaftspolitische oder ökologische Themen spricht.